Der Höllentanz der 30000 Roten Teufel
2. Oktober 1990
Der Betzenberg in Kaiserslautern. Vier Schritte sind es von der Seitenauslinie bis zur Tribüne. 38 500 Fans passen rein, 36 897 sind gegen Leverkusen gekommen. Das Fritz- Walter-Stadion: ein Hexenkessel, in dem durchschnittlich 30000 Rote Teufel zum Höllentanz einladen. Und der Oberteufel sitzt am Mikrofon. Udo Scholz, 51 Jahre, seit 18 Jahren die Stimme Lauterns. Er ist kein Stadionsprecher, er ist ein Animateur, der in jedem Robinson-Club Bestnoten bekäme. Sein Erfolgsgeheimnis: keine Selbstdarstellung - er fordert die Fans zum Mitmachen auf. Workshop Betzenberg. Das geht beider Aufstellung los. Schulz: »Wir begrüßen unsere Nummer eins, Unseren Geryyy ..."- und denn brüllt das ganze Volk „Ehrmann". So geht's bis zur »Nummer elf, Stefaaan ... Kuntz".
Dann will der Udo erst einmal die Welle la Ola sehen. Seite stärkste Waffe - die Westkurve, die eigentlich eine Gerade ist. Doch der Name blieb auch nach dem Umbau. Tradition wird in der Pfalz großgeschrieben.
Wenn's nicht läuft, Udo hilft. Als Leverkusen den Anschluß schafft, fordert Scholz mehr Einsatz von den Fans: „So, jetzt brauchen unsere Jungs noch einmal Unterstützung. Zeigt, daß des beste Publikum aus der Pfalz kommt. Wer das nicht begreift, kann es auf den riesigen Leuchttafeln hinter den Toren lesen, „Kämpfen Lautern... Und das ganze Stadion röhrt den Slogan.
Das Geheimnis des Hexenkessels: die Fans feuern nicht nur ihre eigene Mannschaft an, sie zerstören auch systematisch die Moral der Gegner („Vollborn, deine Frau geht fremd - die Hure!„ Oder: Bayer, „Bayer, hahaha"). Martin Kree („Sieben Spiele, sieben Niederlagen."), Jeder wünscht sich so ein Publikum. Diese Fans sind pro Saison für sieben Punkte gut"
Auch deshalb, weil sie jede Schiedsrichter-Entscheidung gegen Kaiserslautern mit wütenden Pfiffen begleiten. Sie sorgen dafür, daß auch dem schwarzen Mann das Herz in die Hose rutscht. Schiedsrichter Hermann Albrecht jedenfalls hat die Feuertaufe am Betzenberg nicht bestanden.
Zweimal patzt er gegen Leverkusen. Deutlich sich und hörbar: Erst nach Aufforderung der Fans sieht Thomas Hörster Gelb für ein Foul. Der Libero brüllt Albrecht an, daß dies Gelb auf Zuruf sei. In der zweiten Halbzeit fliegt Jorginho nach einem Rempler gegen Hotic vom Platz. Trainer Gelsdorf: „Wenn er dafür eine Geldstrafe kriegt, wäre das noch zu hart."
Dann, in der 79. Minute, eine Szene, die selbst langjährige Besucher noch nie erlebt haben, an die Uwe Scherr noch Stunden späte, im Burg-Restaurant denkt. Die Westkurve tanzt den FCK-Walzer - die ganze Tribüne bat sich in rot-weiße Schals gehüllt. Spontaner Beifall von Fans für Fans - sogar aus der Ehrenloge. 21.45 Uhr - Schlußpfiff, 2,1 gewonnen. Schulz bedankt sich artig, „Ihr seid das beste Publikum der Weit!„ Die Mannschaft läßt sich nicht lumpen - eine Ehrenrunde folgt.
Geschafft. Udos Höllenritt ist aber jedesmal eine Gratwanderung zwischen Anfeuerung und Aufwiegelung. Diesmal geht alles gut. Scholz kommt runter zur Pressekonferenz. Ein Schluck Limo, nebenbei erwähnt er: „Alles ruhig, kein Fan ist auf den Platz gerannt". Die Zuschauer aus der Pfalz - einmalig. Nur Trainer Karl-Heinz Feldkamp ist sauer auf die Fans. Er reagiert wie ein eifersüchtiger Ehemann, der in dem Publikum einen Nebenbuhler sieht In der Pressekonferenz sagt er folgendes: „Ich kam es bald nicht mehr hören. Warum spielen wir eigentlich noch? Anscheinend gewinnen nicht wir die Spiele- sondern die Fans." Hat dich der Teufel geritten, Kalli?
Jochen Coenen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen