Kaiserslautern

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Samstag, 15. November 2014

Die Roten Teufel zwischen Himmel und Hölle

1991 



 



Die Nacht nach dem Spiel. Der kleine Uhrzeiger steht bereits auf kurz vor drei. Das grausame Erwachen aus dem Meistertraum liegt knapp zehn Stunden zurück. Bei Familie Feldkamp klingelt es. Vor der Tür steht Stefan Kuntz, der Kapitän. Ganz spontan hat er diesen Entschluß gefaßt und ist zu seinem Chef gefahren. Sie sprechen über die kommende und alles entscheidende Woche mit dem Endspiel in Köln. „Wir packen's." Erst in den Morgenstunden gehen sie wieder auseinander.

Danach hat Kalli Feldkamp den Wochenplan festgelegt: Montag ist trainingsfrei, Dienstag wird morgens um zehn und nachmittags um halb vier trainiert, am Mittwoch gegen 15 Uhr. Anschließend Abfahrt ins Trainingslager bei Köln.

Es war doch schon alles klar. Seit einer Woche rissen sich die Fans um T-Shirts zu zehn Mark mit dem Aufdruck „Die Roten Teufel — Deutscher Meister 1991.. Die Stadt hatte sich in Rot und Weiß herausgeputzt. Meisteraufkleber gab es an jeder Straßenecke. Guido Hoffmann: „Vielleicht war das alles zuviel.. Und jetzt? Wird Lautern tatsächlich noch von den Bayern abgefangen?

Gladbach hat einen Strich durch die vorzeitige Meister-Rechnung gemacht. Noch am Abend zuvor hatte Trainer Gerd vom Bruch im Setzenstübchen des Dorint-Hotels gesagt: „Mit einem Punkt wäre ich zufrieden.. Samstag vormittag geht der Trainer in die Offensive. Er hält in der Mannschaftssitzung eine flammende Rede: „Die Lauterer sind schon für alle Meister. Ihr sollt das Opfer für die Feier werden. Wollt ihr das?.

Samstag nachmittag, 15.42 Uhr. Das Drama im Fritz-Walter-Stadion beginnt. Block C, Reihe 11, Platz 2. Dort sitzt Gerry Ehrmanns Freundin Patricia. In der neunten Spielminute erlischt ihr Lächeln. Der Torwart, der den gesperrten Stefan Kuntz als Kapitän vertritt, macht „einen unverzeihlichen Fehler.. Er läßt Kastenmaiers Kullerball durch die Beine gleiten. 0:1. Entsetzen auf dem Betzenberg. Aber die Fans rufen aufmunternd: „Ehrmann, Ehrmannt. Wie ein angeschossenes Tier tigert er fünf Meter vor seinem Strafraum auf und ab.

Das 0:2 — wieder Kastenmaier. Sabine Kuntz, die Frau des gesperrten Kapitäns, ruft: „Wie steht's in Nürnberg? Einer schreit: „1:1.. Eine Fehlinformation. Bayern München führt 1:0.

Wynhoff trifft zum 3:0. Dann wird's noch mal hektisch. Kranz und Labbadia schießen den Ehren- und den Anschlußtreffer. Stadionsprecher Udo Scholz versuches mit dem Uhrentrick. Der erste Treffer fiel seiner Durchsage nach in der 89., der zweite plötzlich in der 88. Minute. Nein. Es reicht nicht.

Der Betzenberg verwandelt sich in ein Tal der Depressionen. Die Spielerfrauen bleiben sitzen, schlagen die Hände vors Gesicht. Trauer auch beim angereisten Besuch der Spieler. Guido Hoffmanns Eltern sind enttäuscht, genauso die Mutter von Uwe Scherr.

Scholz appelliert an die Fans: „Fahrt mit nach Köln! Helft uns. Dort müssen wir das Pünktchen holen. Wir setzen auf euch." Die Fans sind wie weggetreten. Viele weinen. Eine Woche zuvor in Bremen waren es Tränen der Freude.

Einige Ordner reagieren ihren Frust auf rüde Weise ab. Einer legt sich mit Zuschauern an, ein anderer verpaßt ZDF-Reporter Rolf Töpperwien eine Kopfnuß. Der brüllt: „Ich lasse mich nicht von Ordnern schlagen." Udo Scholz besänftigt: „Töppie, hab doch Verständnis, wir sind alle ein wenig deprimiert. Auch bei dir liegen die Nerven blank."

Vermutlich. Schließlich haben die Gladbacher auch dem ZDF alles versaut. Der Bus, der Kaiserslautern zum Aktuellen Sport-Studio nach Mainz abholen soll, fährt leer zurück. Unbenutzt nimmt Töpperwiens Kollege Günter-Peter Ploog seinen Zweit-Anzug mit nach Hause. Den hat er extra mitgenommen, um sich nach der zu erwartenden Sektdusche umziehen zu können. Die RTLplus-Reporter Michael Pfad und Christian Sprenger verstauen eine Riesen-Champagnerflasche. Die war für eine Meister-Gesprächsrunde mit Kalli Feldkamp und der Mannschaft vorgesehen. Und Bundeskanzler Helmut Kohl sollte bei RTLplus und beim ZDF live aus dem heimischen Oggersheim zur Gratulation zugeschaltet werden.

Markus Schupp und Freundin Monique laden die Kameraden mit Anhang zu sich ein. Vor dem Stadion dreht ein Fan durch. Er beleidigt Deinir Hotic, der in der rechten Hand den neuen anthrazitfarbenen Ausgehanzug trägt: „Hoffentlich spielst du in Köln nicht. So könntest du den Titel retten." Der Jugoslawe bleibt Gott sei Dank ruhig.

16 Fans fahren auf einem mit Meisterplakaten geschmückten Anhänger, der von einem Trecker gezogen wird, den Betzenberg herab. Frede Krauß, Juniorchef des Lauterer Trainingsquartiers „Hotel Blechhammer", bringt das kalte Büfett (mit Lachs) zu Schupp. Es war für die Meisterfeier bestimmt. Nach dem Essen schiebt der Hausbesitzer eine Kassette ein. Klassiker aus den 70ern. Aus den Boxen dröhnt „Whole Lotta love" von Led Zeppelin. Die Spieler und ihre Frauen schütteln auf der Tanzfläche im Wohnzimmer ihren Frust ab: „Jetzt erst recht."

Ein bißchen denken die Spieler auch an Uerdingen, den Bayern-Gegner. Bayer ist neben Wattenscheid Lauterns zweite Filiale. Trainer Friedhelm Funket hat drei Jahre am Betzenberg gespielt. Sein Bruder Wolfgang Funkel u. Marcel Witeczek wechseln kommende Saison zum FCK. Und Dietmar Klinger zählt zu den besten Freunden von Stefan Kuntz. Doch was soll der Absteiger beim Titelverteidiger ausrichten,

Abschied weit nach Mitternacht. Stefan Kuntz fährt zu Kalli Feldkamp. Guido Hoffmann, Bernhard Winkler, Markus Kranz ziehen in die Stadt. Auch Uwe Scherr. Er hat sich in der Szenekneipe „Leopold" mit Freunden verabredet, die extra aus dem bayrischen Amberg gekommen sind.

In der Altstadt tobt der Bär. Es ist unvorstellbar. Von Trauer keine Spur. Nach drei Stunden der Enttäuschung hat sich das Blatt gewendet. Plötzlich tanzen die Fans in den proppevollen Kneipen auf den Tischen. Fahrten zum Endspiel nach Köln werden organisiert. Mittendrin Reiner Geye, der Vizepräsident. Sichtlich bewegt sagt er: „Schon für unsere Fans müssen wir den Titel holen. Keine Frage, wir schaffen das." Gedränge auch auf den Straßen. Der Tophit der Menschen: „Lautern wird Meister." Sogar Schiedsrichter Markus Merk hat's in die Stadt gezogen. Die Sperrstunde ist aufgehoben.

Sonntag morgen - der Endspurt hat begonnen. Trainer Kalli Feldkamp spricht 30 Minuten mit seiner Mannschaft: „Ihr habt das ganze Jahr über einen Superwillen bewiesen. Und den werden wir auch in Köln zeigen."

Jochen Coenen (12. Juni 1991)





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